Am Nachmittag des 14.3. nahm ich den Zug nach Nara. Mein Ziel war das Omizutori, ein buddhistisches Bußfest durchgeführt an der Nigatsudo-Halle des Tôdaiji-Tempels, das sich über zwei Wochen erstreckt, und am 14. seinen Abschluss findet. Den Namen erhält dieses Ereignis, das seit über 1250 Jahren in diesem Tempel praktiziert wird, vom “Wasserschöpfen”, einem nächtlichen Ritual, an dem die Priester von einer Quelle das angeblich nur einmal im Jahr sprudelnde, heilende Wasser holen, und anschließend im Tempel eine Zeremonie abhalten.
Für die Besucher ist aber das Hauptereignis ein feierliches Feuerritual mit großen Fackeln (Ôtaimatsu), die auf dem Balkon der Nigatsudo-Halle über der Menge abgebrannt werden. Während an den vorangehenden Tagen eine Fackel nach der anderen präsentiert wird, werden am Abschlusstag, dem 14.3., alle gleichzeitig nebeneinander aufgereiht, das Ereignis ist also kurz aber umso intensiver.

Hier schon mal ein Vorgeschmack:

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu

Nun aber der Reihe nach. Bei meiner Ankunft am Nachmittag begrüßte mich am Bahnhof eine Fotokulisse mit den berühmten Rehen (eigentlich Shika-Zwerghirsche) und ein Jizo(?) mit Geweih.

Nara, Fotokulisse am Bahnhof

Nara, Fotokulisse am Bahnhof

Vom JR-Bahnhof nach Osten gehend, erreiche ich zunächst den Sarusawa Teich.

Nara, Sarusawa-Teich

Nara, Sarusawa-Teich

Links vom Teich geht es bergauf zum Gelände des Kôfukuji Tempels.

Wie mehrere weitere Tempel wurde dieser bei Verlegung der Hauptstadt von Fujiwara-kyo in das heutige Nara mit umgezogen. Als sein Entstehungsjahr wird daher das Jahr der Verlegung 710 angegeben. Der Tempel stellte den Familientempel der Fujiwaras dar, im Gegensatz zu weiteren Tempeln in Nara wurde er daher auch nach der erneuten Verlegung der Hauptstadt weiterhin gut versorgt und in Stand gehalten, an seinem Höhepunkt ist von 150 Gebäuden die Rede!

Mein Weg führte mich zuerst zu einer dreistöckigen Pagode:

Nara, Kôfukuji: dreistöckige Pagode

Nara, Kôfukuji: dreistöckige Pagode

Neben zwei achteckigen Hallen bilden die drei Goldenen Hallen das Zentrum des Tempels. Die mittlere Goldene Halle wurde nach einem Brand 1717 nicht wiederaufgebaut, nur eine kleinere Halle diente als Ersatz. Derzeit läuft aber die Rekonstruktion der mittleren Halle, die in zwei Jahren (2018 ist Heisei 30) fertiggestellt sein soll. Wie üblich bei solchen Projekten, wurde eine Baustellenhalle um das entstehende historische Gebäude herumgebaut:

Nara, Kôfukuji: Baustellenhalle für die mittlere goldene Halle

Nara, Kôfukuji: Baustellenhalle für die mittlere goldene Halle

Zu besichtigen sind die Östliche Goldene Halle (Tôkondô) und das National Treasure Museum, das sehr viele Kunstschätze präsentiert. Die Kombikarte für 800 Yen lohnt sich dafür auf jeden Fall. Wie üblich herrscht in beiden Gebäuden Fotografierverbot. Die Tempelareale von Nara sind ein offener Wildpark: die Shika-Hirsche laufen überall umher.

Nara, Kôfukuji: Tôkondô, die Östliche Goldene Halle

Nara, Kôfukuji: Tôkondô, die Östliche Goldene Halle

Die Tôkondô wurde erstmals 726 errichtet, das heutige Gebäude stammt von 1415 und ist selbst ein Nationalschatz. Viele der Statuen darin sind ebenfalls Nationalschätze oder Wichtige Kulturgüter. Die ältesten sind zwei jeweils 3 Meter hohe Bronzestatuen vom Ende des 7. Jahrhunderts.

Der gesamte Tempel wurde außerdem als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.

Diese beiden Postkarten zeigen Kunstwerke aus dem National Treasure Museum:

Nara, Kôfukuji: Postkarten aus dem National Treasure Museum

Nara, Kôfukuji: Postkarten aus dem National Treasure Museum

Ebenfalls ein Nationalschatz ist die fünfstöckige Pagode des Kôfukuji, die mit 50 Metern die zweithöchste Pagode Japans ist.

Nara, Kôfukuji: fünfstöckige Pagode

Nara, Kôfukuji: fünfstöckige Pagode

Nach Osten weitergehend, erreiche ich gegenüber vom Nara National Museum den Himuro Jinja, den möglicherweise einzigen Schrein, der dem Erfinder der Eislagerung (Tsugenoinagi oyamanushi-no-mikoto) geweiht ist. Die Kami von Kaiser Nintoku und dessen Bruder Nukata, der die Vorhersage des Wetters für ein Erntejahr aus dem Eis entwickelt haben soll, sind ebenfalls hier eingeschreint. Anfang April ist der Schrein für seine Trauerkirsche bekannt, aber die weißen und violetten Magnolienbäume, die mich begrüßen, sind auch eine Augenweide.

Nara, Himuro Jinja mit Magnolienblüte

Nara, Himuro Jinja mit Magnolienblüte

Allmählich wurde es Zeit, mich auf das Gelände des Tôdai-ji zu begeben. Dazu passierte ich das eindrucksvolle wuchtige Nandaimon (von 1199), das schon einen Vorgeschmack auf die Haupthalle bietet.

Nara, Tôdaiji Nandaimon

Nara, Tôdaiji Nandaimon

Rechts und links von den drei Durchgängen befinden sich die beiden Wächterkönige, die hier achteinhalb Meter hoch sind. Die beiden Holzskulpturen sind von 1203 und ebenfalls Nationalschätze. Da ich sie diesmal nicht fotografiert habe, liefere ich hier Bilder von meiner Reise 2011.

Nara, Tôdaiji Nandaimon: Ni-Ô Holzskulpturen

Nara, Tôdaiji Nandaimon: Ni-Ô Holzskulpturen

Die “Riesen-Buddha-Halle” Daibutsuden war bis 1998 das weltgrößte Holzgebäude (laut der deutschen Wikipedia wäre es das immer noch, aber die englische Seite berücksichtigt moderne Bauten), und das obwohl dieser Wiederaufbau, errichtet 1692-1709, zwar etwas höher, aber etwa ein Drittel kleiner als die ursprüngliche Halle ist.

Auch hier ein Foto von 2011. Das Fenster über der mittleren Tür dient dazu, dass bei großen Zeremonien der Kopf des Buddha auch von draußen gesehen werden kann.

Nara, Tôdaiji Daibutsuden

Nara, Tôdaiji Daibutsuden

Diesmal wandte ich mich nämlich nach links. Das Areal des Tôdai-ji ist ein Bestandteil des Nara Parks, daher muss ich natürlich nochmal das Wild, und die zugehörigen Warntafeln zeigen.

Nara, Nara Park beim Tôdai-ji: Warnschild und Wild

Nara, Nara Park beim Tôdai-ji: Warnschild und Wild

Es handelt sich also um wilde Tiere, sie können beißen, treten, schubsen und eine schwache Oma sogar umwerfen! Tatsächlich ist die Gefahr aber gering. Sofern man ein Paket Futterwaffeln kauft, muss man damit rechnen, dass sich schnell ein Dutzend Tiere um einen herum scharen, und drängeln, dass man möglichst schnell damit rausrückt. Ansonsten lassen sie einen in Ruhe.

Mein Ziel für das bevorstehende Ritual war Nigatsudô, die “Zweiter-Monat-Halle”, weil nach dem Mondkalender die Rituale rund um das Omizutori im zweiten Monat abgehalten wurden. In unserem Sonnenkalender sind sie nun auf 1.-14. März fixiert. Die sich sammelnde Menge zeigt mir an, dass ich richtig bin:

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: die Menge sammelt sich

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: die Menge sammelt sich

Nun heißt es warten. Allmählich bricht die Dämmerung herein. Immer wieder werden Schilder hochgehalten, die daran erinnern, nur ohne Blitz zu fotografieren. Schließlich will man nachher das Feuer wahrnehmen und kein künstliches Blitzgewitter.

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: Abenddämmerung

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: Abenddämmerung

Ôtaimatsu heißt “große Fackel”, und darum geht es nun. Diese Fackeln sind lange Bambusstöcke, an deren Enden ein Knäuel aus Zweigen befestigt ist, der nach dem Anzünden zunächst als Flammenball, danach als Glutball in Erscheinung tritt. Laut Beschreibung auf japan-guide sind es an den meisten Tagen sechs Meter lange Stangen mit einem 40 kg Ball am Ende, am 12. März sind es sogar acht Meter Stangen mit 70kg Gewicht, und an diesem Tag werden die Zuschauer während des Rituals durchrotiert.

An den ersten dreizehn Tagen wird eine Fackel nach der anderen abgebrannt, nur am abschließenden 14. März werden rasch nacheinander alle zehn Fackeln angezündet und nebeneinander am Balkon aufgereiht.

Dunkelheit hat sich breitgemacht, auch die Laternenbeleuchtung wurde auf ein Minimum reduziert. Links unten zeigt sich ein oranger Lichtschein: offenbar werden die Fackeln zunächst in dem überdachten Gang links (auf dem Tag-Foto vorhin gut zu sehen) zum Tempel hinaufgetragen, dann kommen sie von der Seite auf dem Balkon an.

Hier ist die erste Fackel schon auf dem Balkon ganz rechts, die zweite kommt gerade um die Ecke, und die dritte ist auf dem Gang nach oben:

Die herumfliegenden Funken haben reinigende Wirkung, deshalb freuen sich die Gläubigen, ein paar davon abzubekommen, und drängen sich besonders an der Böschung unterhalb der Halle. Ich habe mir einen Beobachtungsplatz in etwas Entfernung ausgesucht.

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, die erste Fackel ist in Stellung, die nächsten zwei auf dem Weg

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, die erste Fackel ist in Stellung, die nächsten zwei auf dem Weg

Rasch kommen die weiteren Fackeln dazu, hier sind vier in Stellung, und die Funken sprühen:

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, vier Fackeln sind in Position

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, vier Fackeln sind in Position

Wenige Minuten später sind nur noch Glutbälle übrig, die von dem Mönchen durch Drehen und Schwingen wieder angefacht werden.

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, die Glutbälle werden durch Drehen und Schwingen wieder angefacht

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu, die Glutbälle werden durch Drehen und Schwingen wieder angefacht

Nachdem die Fackeln abgebrannt sind, machen sich etliche Zuschauer auf die Suche nach verkohlten Stückchen, die Glück bringen sollen:

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu Ende: Leute auf der Suche nach Kohlestückchen

Nara, Tôdaiji Nigatsudo: Omizutori Ôtaimatsu Ende: Leute auf der Suche nach Kohlestückchen

Auch der Balkon der Halle ist freigegeben, um einen nächtlichen Blick über Nara zu genießen (mein Fernblick-Foto war leider völlig verwackelt, daher nur der Blick nach unten):

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: Blick vom Balkon der Halle herunter

Nara, Tôdaiji Nigatsudô: Blick vom Balkon der Halle herunter

Für mich ist es Zeit, den Rückweg anzutreten.
Übernachten werde ich in Osaka, daher habe ich noch ein Stückchen Zugfahrt vor mir.
Vor dem derzeitigen JR-Bahnhofsgebäude von Nara befindet sich das ehemalige Bahnhofsgebäude von 1934, in dem nun die Touristeninfo untergebracht ist. Es ist im Stil einem Tempelgebäude nachempfunden, und trägt sogar einen Sôrin, den Metallstab mit Ringen, der auch auf Pagoden angebracht ist.

Nara, ehemaliges JR-Bahnhofsgebäude (1934), heute Touristeninformation

Nara, ehemaliges JR-Bahnhofsgebäude (1934), heute Touristeninformation

Auch der aktuelle Bahnhof soll mit seiner Kassettendecke und den holzverkleideten Säulen an Tempelarchitektur erinnern. Züge nach Kyoto und Osaka fahren jeweils etwa jede Viertelstunde.

Nara Station (JR) mit Abfahrtsdisplay

Nara Station (JR) mit Abfahrtsdisplay

An einer Säule fällt mir ein Doraemon-Poster und ein Stempel auf. Die Japaner lieben es ja ohnehin, Stempel zu sammeln, und anscheinend macht JR-West da irgendeine Aktion. Das Mädchen auf dem Stempelbild ist offenbar die Reiterin des violetten Vogels links oben. Vermutlich gibts an anderen Bahnhöfen weitere Charaktere einzusammeln, aber so wichtig war es mir nicht, das zu ergründen.

Nara: Doraemon-Stempel-Aktion von JR West (Stempelabdruck links unten)

Nara: Doraemon-Stempel-Aktion von JR West (Stempelabdruck links unten)

Der Zug bringt mich in einer guten halben Stunde nach Tennoji, von dort spaziere ich zu einem sehr billigen Hotel in der Dobutsuen-mae Gegend. Ich blicke auf einen wirklich schönen Ausflug nach Nara zurück.